Grußwort an Heinrich Grüber

D. Martin Niemöller  schreibt  als  Grußwort an Heinrich Grüber 1956:

Nach dem riesigen Verschleiß von Persönlichkeiten in der Zeit des Dritten Reiches und in den Jahren des Zweiten Weltkrieges sind wir in unserem deutschen Volk und Land an markanten und originalen Männern und Frauen arm geworden. Die Nachkriegszeit ist nicht dazu angetan gewesen, Persönlichkeiten entstehen und sich entwickeln zu lassen: Wer sich vorsichtig und schmiegsam der Zeitströmung anzupassen verstand, hatte nun einmal die größte Aussicht, zu überleben und vielleicht auch wieder etwas zu werden.

 

Das Resultat ist dementsprechend beschämend und armselig, indem wir einen großen Schritt zur allgemeinen Vermassung vorwärts getan haben, sodass man ängstlich fragen muss, ob unser Volk in der Zukunft noch in der Lage sein wird, ein eigenes Gesicht zu gestalten und eine eigene Aufgabe zu erfüllen. Wir leben in einem Zeitalter der Normung, in der auch der Mensch genormt wird und die Menschheit trotz aller Spannungen und Aufregungen langweilig zu werden droht.

 

Für jeden, der Mensch sein und Menschen um sich sehen möchte, ist Heinrich Grüber inmitten dieses grauen Einerlei eine Herausforderung und Erquickung zugleich. Für ihn gibt es schlechterdings – oder guterdings – kein Schema, in das man ihn hineinfügen und damit abgetan sein lassen kann. Er ist eine Herausforderung, und man kommt nicht daran vorbei, sich mit ihm auseinander zu setzen. Und das nicht einmal, sondern immer wieder! Und das Her - ausfordernde in ihm ist zugleich das Tröstliche und Erquickende: Heinrich Grüber ist der leben dige Beweis dafür, dass es auch in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts in unserer Mitte Menschen geben kann und Menschen gibt.

 

Darum ist im Grunde ihm gegenüber niemand „neutral“; man muss ihn hassen oder lieben; vielleicht muss man manchmal beides zugleich, aber man kommt nicht an ihm vorbei.

 

Und dieser unbequeme, wirkliche Mensch kommt mit einer Botschaft. Er bringt nicht sich selbst, so sehr er er selber ist, sondern er kündet von dem, was ihn selbst zum lebendigen Menschen macht, was ihn in steter Unruhe und zugleich in beständigem Frieden erhält. Und wer den Mut und die Geduld aufbringt, auf ihn und seine Kunde zu hören, der merkt, dass es sich hier nicht um ein WAS handelt, sondern um einen WER. Er ist selbst ein Geforderter und Beschenkter.

 

Seine Unruhe kommt nicht aus ihm selbst, und seine Festigkeit ist nicht sein eigenes Werk. Hinter ihm steht ein anderer, der ihm Frieden und Festigkeit gibt. Und der ihn zugleich tätig und rastlos sein heißt. Darum hat Heinrich Grüber nichts von jener geschlossenen Persönlichkeit, die einmal das Ideal des deutschen Idealismus gewesen ist, aber im Grunde auch nichts von der zerrinnenden Vielgestalt des sogenannten modernen Menschen, der alles Mögliche tut und im Grunde nichts Eigenes und Wirkliches ist.

 

Wir sollten hören, was er uns zu sagen hat; wir sollten selber den hören, der seines Friedens Quelle und seines rastlosen Dienstes Herr ist.


Quelle:

„ DONA NOBIS PACEM“, Gesammelte Aufsätze hrsg. Von G. Wirth, Berlin 1956